Pontisella: Frischer Wind in alten Mauern

Stampa ist geprägt von einem starken Kontrast zwischen repräsentativen Häusern der einflussreichen Familien des Tals und einfacheren Wohn- und Nutzbauten. Bekannt ist das Strassendorf auch als Stammsitz der Künstlerfamilie Giacometti, von der einige Werke im ethnografischen Museum «Ciäsa Grande» zu sehen sind.

Den Dorfausgang markiert ein spätklassizistisches Patrizierhaus, das kurz nach der Fertigstellung der neuen Kantonsstrasse im 19. Jahrhundert errichtet wurde. Der Bauherr Giovanni Pontisella stammte ursprünglich aus Vicosoprano und war als Likörhersteller in Bergamo zu grossem Reichtum gelangt. Er beauftragte den Tessiner Baumeister Giovanni Battista Pedrazzini, einen repräsentativen Palazzo als Zweitwohnsitz für sich und seine Familie zu bauen – die «Casa Pontisella». Zahlreiche weitere Wohnhäuser im Bergell entstammen Pedrazzinis Hand.

Das Haus zeigt heute noch viel von seinem ursprünglichen Entwurf. Eine strenge Symmetrie, charakteristisch für die Architektur des Spätklassizismus, kennzeichnet die Strassenfassade. In der Mitte des Gebäudes führt ein breiter Korridor zu den Wohnräumen, die mit ihren Schablonenmalereien und Türbemalungen viele originale Gestaltungselemente bergen. Auch der grosszügige Garten hinter dem Haus basiert auf einem Entwurf Pedrazzinis.

Seit 2017 weht ein frischer Wind in den historischen Räumen. Nachdem das Haus jahrelang leer gestanden war, verkauften es die Nachkommen der Familie Pontisella. Einige mutige Eingriffe, wie die Öffnung eines Korridors zur grosszügigen Halle, zeigen deutlich den Wandel von der privaten Residenz zu einem offenen Bed and Breakfast. Retro-Möbel aus den 1950er-Jahren und zeitgenössische Designobjekte bilden einen spannenden Kontrast zum Bestand. Trotzdem strahlt das Haus noch viel Ursprünglichkeit und Regionalität aus – auch dank der vielfältigen kulturellen Angebote und einer Butéga im Erdgeschoss. Dieses neue Leben scheint den alten Mauern richtig gut zu tun.
 

Natalie Schärer, Schweizer Heimatschutz